El Shaguar

Es war in Ecuador, November 1990: ich bin im Urwald! Ein vielgeträumtes Er- leben ist wahr geworden. Die Grüne Hölle! Dunkel, modernd, üppig und aus- schweifend, strotzend vor Leben, Tiere und Pflanzen in nie gesehener Gestalt und Fülle!

 - Von wegen! Viele Pflanzen sind es schon - aber wenig Blüten, selten mal ein Vogel zu hören, kaum Schmetterlinge und schon gar keine Säugetiere. Hier, im Bergurwald an den Quellflüssen des Amazonas ist das "Groß- wild" (und damit ist alles gemeint, was eßbar oder verwertbar ist) durch die bessere Waffen- technologie schon fast ausgerottet, außerdem haben wir weißen Trampeltiere schon alles vertrieben, bevor wir was davon sehen könnten. Ansonsten ist der Urwald in Bodennähe eher eine Wüste und artenarm ( und die Pflanzen die hier wachsen kennen wir als Zimmerpflanzen oder aus dem Botanischen Garten - alles schon mal gesehen...  naja, fast alles ).

Dennoch, wir sind mit einigen Shuar unterwegs - das sind die berühmten In- dianer, die diese kunstvollen, schrecklichen, angsteinflössenden Schrumpfköpfe herstellen. Sie führen uns durch die Selva und schon nach wenigen hundert Metern haben wir die Orientierung und den Weg verloren - wir würden ohne sie wahrscheinlich nie zurückfinden. Unterwegs erklären sie uns die Nutzpflanzen, geben uns eßbare Käferlarven ( bei einem Mißverständnis hab ich leider nicht- eßbare Larven probiert...) und zeigen was sie alles aus der Natur verwerten können. Als alter Insektenkundler freu ich mich über eine bizarre Blattwanze und zeig' sie unsrem Führer: "Oh! Vorsicht! Die haben eine Spraydose und sprühen dir Gift in die Augen!" Hoppla, schnell weg damit. Später reagieren sie nochmal so bei einer schönen bunten Heuschrecke und am Abend in der Palmhütte die selbe story bei einem Leuchtkäfer. Ich glaub's ihnen nicht mehr! Die sind wie alle Bauern in der Welt: was sie nicht kennen ist nix gutes, hilfsweise giftig oder wenigstens gefährlich.


Am andern Tag, nach einer Nacht mit Spinnen und Moskitos im alten Blätterdach, kommen wir in eine Gegend, die unsre Indianer schon lange nicht mehr besucht hatten - sie erzählen von bewaffneten Auseinandersetzungen mit Landnehmern aus den Slums der Städte, die von der Regierung in ihren Wald geschickt worden waren. Von Schießereien und daß sie einige Mestizen getötet hätten und sie schließlich wieder vertrieben hätten. Wir wolln's nicht so ganz glauben - es klingt wie Jägerlatein - aber auf einmal holen sie unter einem Baum einen alten Wasserkanister hervor und nach einigem Suchen finden sie auch noch eine zurückgelassene Plastikplane ( alles wertvolle Sachen im Busch ).

Dann kommen wir nach heftigem Gewühle durch das Unterholz eines Bach- laufs auf einen gerodeten Hang. Wild liegen Urwaldriesen quer über- und durch- einander und die Führer werden ganz still und vorsichtig. Sie flüstern, dann schicken sie ihren kleinen Sohn voraus. Die Menschen, die hier gearbeitet haben kennen sie nicht. Eindringlinge? Fremde Familien? Vorsichtig balancieren wir die benoosten Stämme bergauf. Der Junge ruft uns was zu - Entspannung auf den Gesichtern - die Siedler sind nicht mehr hier, die Hütten wirken verlassen.

Und auf einmal erneute Anspannung. Diesmal geht der ältere Führer, die Machete fest in der Faust, der Blick hochkonzentriert, voraus. Der andere bedeutet uns zurückzubleiben und erst im größeren Abstand zu folgen. Alles nur mit Gesten. Kein Laut. Sie wispern  nur ein leises "El Shaguar"! - Was is nun schon wieder? Touriverarsche? Da soll tatsächlich ein Jaguar hausen? Das glaubt wer will, ich nicht! Leicht belustigt gehen wir weiter - aber Tatsache: in den verfallenen Hütten liegen abgefieselte Knochen rum und es stinkt nach Raubtier - schlimmer als im Tigerhaus in Hellabrunn. Der Jaguar ist nicht daheim - aber wo ist er? Um die Zeit sollte er normalerweise an seinem Platz ruhen... Nun gehn wir wirklich ganz vorsichtig weiter, bleiben eng zusammen und suchen ringsum den ziemlich undurchdringlichen Dschungel mit Blicken ab. Scheiße! Wenn ich jetzt wenigstens noch meinen Eisenholz-Speer hätte - den hab ich Jakob zum balancieren über die Stämme gegeben. So ganz ausgeliefert und jetzt geht es auch noch einen engen Tobel hinab. Unwohl! Und dann: ich schwöre es! höre ich ein laut vernehmliches Knurren! Oh Mann! Schnell weg! Und Abbitte leisten bei den Indianern - sie kennen sich in ihrem Wald halt doch besser aus, als wir Schlauerle..